Erst aus der Ferne entdeckte ich die Musik meiner Heimat
Über musikalische Juwelen der arabischen Welt
Lange ist es her, dass ich meine Geburtsstadt Beirut verlassen habe. Von unserer Terrasse hatte ich einen weiten Blick auf das Mittelmeer. Meine Kindheit und Jugend in den 1970er und 1980er waren geprägt von den kriegerischen Auseinandersetzungen vieler zerstrittenen Parteien. In diesem Kontext wurden die Musik und das Mittelmeer mein vertrautes Zuhause!
Beirut war damals eine kosmopolitische Stadt. Viele politische, kulturelle und soziale Bewegungen in den großen Metropolen der westlichen Welt fanden ihren Nachhall in der libanesischen Hauptstadt. Und damals herrschte noch die Einstellung, dass alles, was aus dem Westen kam, das Beste war.
Die Musik meiner Jugend war daher sehr westlich geprägt. Bei den libanesischen Liedermachern war damals die Gitarre sehr präsent. Die politischen und sozialkritischen Lieder dieser Künstler*innengeneration prägten mich sehr. Das weltliche arabische Liedgut hingegen sprach und spricht noch immer fast ausschließlich über die Liebe. Die Künstlerinnen der 1970er Jahre aber bereicherten die Musikszene mit völlig anderen Themen. Viele Liedermacher*innen stellten die palästinensische Dichtung in den Mittelpunkt. Gedichte von Mahmoud Darwish, Samih Alqasim, Tawfiq Ziad und Ezzedine Almunasara waren nicht mehr nur in Gedichtbänden zu lesen. Die Stimmen einiger Sänger*innen machten sie hörbar, wurden übertragen von den vielen Rundfunkanstalten, die Teil der politischen Landschaft waren. Gleichzeitig und trotz der Zersplitterung der libanesischen Gesellschaft wirkten die Stimmen der libanesischen Sängerin Fairuz und des Komponisten und Sängers Wadih Alsafi stets als das überparteiliche Bild eines Landes und die Sehnsucht nach einer „besseren Zeit“.
In dieser musikalisch vielfältigen Szene tastete ich mich als Jugendlicher an die Musik heran. Meine Eltern versuchten mich im Musikkonservatorium einzuschreiben. Doch mit dem Status eines palästinensischen Flüchtlings konnte man sich nicht einfach an öffentlichen Einrichtungen des Landes anmelden. So waren für mich die Tore des musikalischen Unterrichts versperrt, dafür hatte ich die Freiheit, mir selbst ein Instrument beizubringen. Mit dieser Einstellung kaufte ich mir viele Kassetten und versuchte, das Gehörte auf meiner ersten Oud wiederzugeben.
Meine Leidenschaft für die Musik führte mich später zu einer Gruppe, die politische Lieder aufführte – und das mitten im tobenden Bürgerkrieg. Meine Eltern bekamen Angst um mich. Nach meinem Highschool-Abschluss schickten sie mich zu meinem in Wien lebenden älteren Bruder, in der Hoffnung, dass es mir dort besser ergehen würde und ich mein Medizin-Studium beginnen würde. Sie sahen in mir als dem jüngsten von sieben Kindern den ersehnten Arzt.
Erst in Wien bekam ich regulären Oud-Unterricht bei einem irakischen Oudmeister der Bagdader Oud-Schule. Die Bagdader Oud-Schule wurde in den 1930er von Şerif Muhiddin Targan gegründet, der in Istanbul noch in Zeiten des Osmanischen Reiches geboren worden war. Als Oudmeister diente er im Irak, der damals noch ein Königreich war. Er starb 1967 in der republikanischen Türkei. Seine Schüler waren unter anderem Jamil Bachir und Munir Bachir. Jamil Bachir entwickelte eine grundlegende moderne Oud-Methodik für die kommenden Generationen von Oud-Instrumentalisten. Und Munir Bachir bezauberte sein Publikum in vielen Teilen dieser Erde und erlangte mit seinem musikalischen Stil einen beachtlichen Weltruhm. Erst aus der Ferne entdeckte ich die Juwelen der arabischen Musik, sei es in den arabischen Ländern oder bereits im Exil oder in noch weiterer Ferne.
Vor drei Jahren hatte ich Gelegenheit, in einigen palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon Musikworkshops durchzuführen. Die Kinder, die Pädagoginnen und ich hatten viel Freude am gemeinsamen Musizieren. Traurig stimmte mich allerdings die Erkenntnis, dass keines der insgesamt etwa 270 Kinder mein Instrument, Al-Oud, kannte und auch nicht seinen Namen wusste. Viele nannten mein Instrument „Gitarre“ und einige Kinder benutzten das arabische Verb „yetantan“ (übers. Geräusche erzeugen), um das Instrument zu bezeichnen.
Inzwischen habe ich an der Popakademie in Wien die erste Oud-Klasse Österreichs gegründet. Hier wird nun der Reichtum der arabischen Musik und ihre Vielfalt in Freiheit erlebbar.
Dieser Beitrag wurde im Heft von Schneller Magazin veröffentlicht.
Comments are closed